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grober Behandlungsfehler - Beweislastumkehr

1. Rechtsfolgen des groben Behandlungsfehlers

Ist ein grober Behandlungsfehler vorliegend, führt ein solcher regelmäßig zu Umkehr der Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang  zwischen den Gesundheitsschaden und dem Behandlungsfehler, wenn dieser geeignet ist, den eingetretenen Schaden zu verursachen. Nahe legen oder wahrscheinlich machen, müssen der Fehler den Schaden hingegen nicht:

"Wie der erkennende Senat mehrfach (vgl. etwa Senat, BGHZ 159, 48, 54; Urteil vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03 - VersR 2005, 228, 229) dar­gelegt hat, führt ein grober Behandlungsfehler - wie ihn das Berufungsgericht unter den Umständen des Streitfalls zu Recht bejaht hat - regelmäßig zur Um­kehr der Beweislast für den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Ge­sundheitsschaden und dem Behandlungsfehler, wenn dieser geeignet ist, den
eingetretenen Schaden zu verursachen. Nahelegen oder wahrscheinlich ma­chen muss der Fehler den Schaden hingegen nicht (vgl. Senat, BGHZ 159, 48, 54 m.w.N.). Eine Verlagerung der Beweislast auf die Behandlungsseite ist nach einem groben Behandlungsfehler nur dann ausgeschlossen, wenn jeglicher haf­tungsbegründende Ursachenzusammenhang äußerst unwahrscheinlich ist, sich nicht das Risiko verwirklicht hat, dessen Nichtbeachtung den Fehler als grob erscheinen lässt, oder der Patient durch sein Verhalten eine selbstständige Komponente für den Handlungserfolg vereitelt hat und dadurch in gleicher Wei­se wie der grobe Behandlungsfehler des Arztes dazu beigetragen hat, dass der Verlauf des Behandlungsgeschehens nicht mehr aufgeklärt werden kann (vgl. Senat, BGHZ 159, 48, 55). Diese Grundsätze verkennt das Berufungsgericht, wenn es davon ausgeht, der Kläger habe (nach grob fehlerhafter Behandlung) beweisen müssen, dass es sich um eine Infektion und nicht um eine hyperer-gisch-allergische Reaktion gehandelt habe.

Wie oben dargelegt, reicht es für die Haftung der Behandlungsseite nach einem groben Behandlungsfehler aus, dass der Fehler generell zur Verursa­chung des eingetretenen Schadens geeignet ist; wahrscheinlich braucht der Eintritt eines solchen Erfolges nicht zu sein (vgl. Senat, Urteil vom 3. Dezember 1985 -VI ZR 106/84- VersR 1986, 366, 367). Das Berufungsgericht geht von der generellen Eignung einer intraartikulären Injektion zur Herbeiführung einer Entzündungsreaktion aus, wenn die Injektion unter Außerachtlassung grundle­gender Hygieneregeln erfolgt. Es hält jedoch eine allergische Reaktion für wahrscheinlicher und will deshalb keine Beweislastumkehr anwenden, weil die Verletzung der Hygieneregeln auf eine allergische Reaktion keinen Einfluss ha­be. Indessen schließt dieser Gesichtspunkt eine generelle Eignung des Hygie­nefehlers für den Gesundheitsschaden nicht aus. Vielmehr wäre der Beweis, dass eine allergische Reaktion vorgelegen hat, Sache des grob fehlerhaft be­handelnden Arztes. Eine Beweislastumkehr erfordert nämlich nicht, dass der Behandlungsfehler mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu dem eingetrete­nen Erfolg geführt hat, sondern lediglich dessen generelle Eignung für den kon­kreten Gesundheitsschaden (vgl. Senat, BGHZ 85, 212, 216 f.; Urteile vom 3. Dezember 1985 -VI ZR 106/84- aaO; vom 28. Juni 1988 -VI ZR 217/87 -VersR 1989, 80, 81). Die Unsicherheit, ob der Schaden tatsächlich durch den groben Fehler oder durch eine andere Ursache bedingt ist, soll in einem sol­chen Fall die fehlerhaft behandelnde Seite aufklären. Insoweit hat das Beru­fungsgericht die Reichweite der Beweislastumkehr nach einem groben Behand­lungsfehler ersichtlich verkannt.

Die erforderlichen Voraussetzungen für eine Ausnahme von dieser Be­weislastumkehr hat das Berufungsgericht nicht festgestellt, insbesondere hat es nicht festgestellt, dass eine Verursachung der Beschwerden durch die Hygie­nemängel äußerst unwahrscheinlich sei, zumal auch das Gutachten R., auf das sich das Berufungsurteil stützt, eine allergische Reaktion nur für wahrscheinlich, nicht aber eine bakterielle Infektion für äußerst unwahrscheinlich hält. Der Sachverständige D. hat mehr Befunde gesehen, die für eine Infektion sprechen, als Befunde, die für eine hyperergisch-allergische Reaktion sprechen. Der feh­lenden Nachweisbarkeit von Infektionserregern im Punktat hat der Sachver­ständige dagegen keine entscheidende Bedeutung beigemessen.

Entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung muss der Kläger auch nicht etwa eine Infektion beweisen; es genügt vielmehr, dass er den ihm ent­standenen (Primär-)Schaden und die generelle Eignung des groben Fehlers zur Verursachung dieses Schadens nachweist (vgl. Senat, BGHZ 159, 48, 54; Ur­teile vom 3. Dezember 1985 -VIZR 106/84- aaO; vom 16. November 2004 - VI ZR 328/03 - aaO, jeweils m.w.N.). Diesen Beweis hat der Kläger geführt."

 
2. Was heißt überhaupt Beweislast?

 

Grundsätzlich hat im Prozess vor dem Zivilgericht jede Partei die für sie in rechtlicher Hinsicht günstigen Tatsachen zu beweisen. Will ein Patient von seinem Arzt Schadensersatz oder Schmerzensgeld, so muss er vor Gericht beweisen, dass überhaupt ein Behandlungsfehler vorliegt und er durch diesen einen Schaden erlitten hat. Einen Behandlungsfehler und den daraus resultierenden Schaden würde man zwar im alltäglichen Sprachgebrauch nie als "für den Patienten günstige Tatsache" bezeichnen, in rechtlicher Hinsicht ist es das aber gerade. Schließlich ist diese Tatsache die Voraussetzung dafür, dass der Patient Schadensersatz oder Schmerzensgeld von dem Arzt fordern kann, was wiederum günstig für ihn ist.

 

3. Beweislastumkehr und ihre Folgen

 

Im Arzthaftungsprozess kann es nun zu einer sogenannten Beweislastumkehr kommen, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt. Dann wird von dem oben beschriebenen Grundsatz, dass jeder die für ihn günstigen Tatsachen zu beweisen hat, abgewichen. Da es zu dieser Abweichung erst dann kommt, wenn ein Behandlungsfehler als grob qualifiziert wurde, hat sich der Patient bis zu diesem Zeitpunkt immer noch an die normalen Beweislastregeln zu halten. Weil es für ihn günstig ist, wenn ein grober Behandlungsfehler vorliegt, hat er diesen auch selbst zu beweisen.

 

Erst wenn der Richter davon überzeugt ist, dass es sich um einen groben Behandlungsfehler handelt, kommt dem klagenden Patienten die Beweislastumkehr zugute.  Es wird dann vermutet, dass der Primärschaden aufgrund des groben Behandlungsfehlers eingetreten ist, der grobe Behandlungsfehler also kausal war für den Primärschaden. Doch welche Schäden sind nun genau Primärschäden?

 

4. Primär- und Sekundärschäden

 

Wie der Begriff selbst schon zum Ausdruck bringt, sind Primärschäden immer die Schäden, die die primäre, also direkte  Folge des Behandlungsfehlers darstellen. Schäden, die dann wiederum aus diesem Primärschaden resultieren, sind Sekundärschäden.

 

5. Der Primärschaden in der Rechtsprechung

 

Die Rechtsprechung hat teilweise sehr weitreichende Grenzen für die Annahme eines Primärschadens gezogen. So wurden zum Beispiel spätere Verhaltensstörungen eines nach fehlerhafter Geburtsleitung zur Welt gekommenen Kindes als Primärschaden des Behandlungsfehlers angesehen. Der Bundesgerichtshof sah hier nicht nur in dem eventuell durch die fehlerhafte Geburtsleitung entstandenen Hirnschaden, sondern gerade auch in den vom Patienten geltend gemachten Verhaltensstörungen einen Primärschaden. Die Verhaltensstörung wurde von den Richtern hier also nicht als bloße Folge der hirnorganischen Schädigung, sondern als direkte Ausprägung dieser Schädigung verstanden. Dass dem klagenden Patienten hier keine Beweislastumkehr zugute kam und er daher erfolglos blieb, hängt nur damit zusammen, dass der Fehler bei der Geburtsleitung hier nicht als grob qualifiziert wurde und somit der Kläger alle ihm günstigen Tatsachen, eben auch die Kausalität zwischen Behandlungsfehler und Primärschaden beweisen musste. Dies gelang  ihm zwar nicht, ändert jedoch nichts an der weitreichenden Wertung der Bundesrichter hinsichtlich eines Primärschadens. Hierzu führen sie folgendes aus:

 

"Erster Verletzungserfolg ist aber im Streitfall entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, wie die Revision zutreffend ausführt, nicht lediglich die von ihren Symptomen abstrahierte Gehirnschädigung des Klägers, sondern der von ihm behauptete Hirnschaden in seiner konkreten Ausprägung, d. h. mit den vom Kläger  als Auswirkung geltend gemachten Beeinträchtigungen seines gesundheitlichen Befindens. Die vom Kläger behaupteten Verhaltensstörungen sind also nicht lediglich Folgeschäden der Hirnschädigung; sie stellen den vom Kläger  nach § 286 Abs. 1 ZPO zu beweisenden streitgegenständlichen Hirnschaden selbst dar." (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.07.1998, VI ZR 15/98).

 

Ebenfalls einen sehr weitreichenden Primärschaden hat die Rechtsprechung im Falle des knapp zwei Jahre nach einem groben Behandlungsfehler eingetretenen Todes einer Patientin angenommen. Hier hatten die Ärzte einen Tastbefund, der jeweils einen Knoten in der rechten Brust und in der Achselhöhle ergab, nicht weiter abgeklärt. Bei den Knoten, die von den Ärzten als "harmlose Zysten" bezeichnet wurden, handelte es sich in Wirklichkeit um bösartige Tumoren, die zwei Jahre nach der fehlerhaften Behandlung zum Tod der Patientin führten. Im Prozess des hinterbliebenen Ehemannes und der Tochter gegen die Ärzte qualifizierten die Richter des Oberlandesgerichts den frühen Tod als Primärschaden, also als direkte Folge des groben Behandlungsfehlers:

 

"Der geltend gemachte bezifferte materielle Schadensersatzanspruch gegen die Beklagten zu 2 und 3 besteht dem Grunde nach. Der haftungsbegründende materielle Primärschaden ist in dem frühen Tod der Patientin zu sehen. Entscheidend für die Beurteilung des Primärschadens ist, dass die Heilungschance für die Patientin nicht gewahrt worden ist. Dies geht beweisrechtlich zulasten der fehlerhaft handelnden Ärzte."  (Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 28.11.2001, 3 U 59/01).

 

Wird ein Schaden also als Primärschaden gewertet, so wird zugunsten eines Patienten, dem der Nachweis eines groben Behandlungsfehlers gelingt, angenommen, dass dieser Behandlungsfehler kausal war für den Primärschaden.

 

5. Beweislastumkehr bei späteren Schäden?

 

Wird zugunsten eines Patienten, der einen groben Behandlungsfehler nachweist, auch angenommen, dass dieser Behandlungsfehler nicht nur für den Primärschaden, sondern auch für eventuelle Folgeschäden kausal war? Werden von der Beweislastumkehr also auch Schäden umfasst, die erst als Folge des eigentlichen Primärschadens eingetreten sind?

 

Grundsätzlich bezieht sich die Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern nur auf Primärschäden, es gibt jedoch eine Ausnahme hiervon:

 

Sind später eintretende Schäden die typische Folge des Primärschadens, so erstreckt sich die Beweislastumkehr auch auf diese Folgeschäden. Der Bundesgerichtshof hat dies in seinem Urteil vom 09.05.1978, VI ZR 81/77, wie folgt beschrieben:

 

"Ausnahmsweise kann eine andere Betrachtung geboten sein, wenn die Interessenabwägung, auf der jene Grundsätze beruhen, die Einbeziehung auch von "Sekundär"-Schäden in die Beweislastumkehr als billig erscheinen lässt, weil das besondere Beweisrisiko, das das grobe Versehen geschaffen hat, auch sie betrifft. Das kann z. B. gelten, wenn die außer acht gelassene elementare Verhaltensregel gerade auch ihnen vorbeugen sollte, weil sie typisch mit der "Primär"-Verletzung verbunden sind."

 

Werden im zitierten Urteil Schäden, die typische Folge des Primärschadens sind, tatsächlich als "Sekundärschäden" bezeichnet, so rückt der Bundesgerichtshof in einer späteren Entscheidung vom 16.11.2004, VI ZR 328/03, von dieser Auffassung ab. Dort stellten die Richter nämlich fest, dass derartige spätere Schäden gerade keine Sekundärschäden im eigentlichen Sinne sind, sondern so eng mit dem Primärschaden zusammenhängen, dass sie letzterem zugerechnet werden. Obwohl es sich also um einen Schaden handelt, der erst später eingetreten ist, ist dieser Schaden kein Sekundärschaden, was die Richter wie folgt ausgeführt haben:

 

"Nach diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht hier eine Umkehr der Beweislast nicht verneinen. Die Parteien streiten nicht um einen Sekundärschaden des Klägers. Vielmehr beruht die Schädigung des Sehvermögens auf dem Primärschaden der Netzhautablösung, die der Kläger als Schädigung geltend macht."  (Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16.11.2004, VI ZR 328/03)

 

Bei dieser Konstellation, die auf den ersten Blick tatsächlich wie eine Erstreckung der Beweislastumkehr auf Sekundärschäden aussieht, handelt es sich also - nach neuerer Rechtsprechung - nur um eine weite Definition des Primärschadens, die auch zeitlich später eintretende Folgen diesem zurechnet, wenn sie typischerweise mit ihm in Zusammenhang stehen.

 

 

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