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Definition des Diagnoseirrtums

Diagnoseirrtümer sind Fehler, die dem Arzt im Rahmen der Diagnosestellung, also bei der Zuordnung bestimmter zuvor erhobener Befunde (vgl. hierzu Befunderhebungspflichtverstoß) zu dem hierzu passenden Krankheitsbild unterlaufen. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Arzt eine Krankheit diagnostiziert, die objektiv gar nicht vorliegt, oder wenn er zu der Erkenntnis gelangt, dass ein Patient gesund sei, obwohl er in Wirklichkeit krank ist.  Solche Fehler kommen im medizinischen Alltag nicht selten vor, können dem Arzt jedoch nicht immer vorgeworfen werden. Dies hängt damit zusammen, dass ein und dieselben Symptome oftmals auf unterschiedliche Krankheitsbilder hinweisen können. Außerdem können bestimmte Symptome bei jedem Patienten aufgrund der Individualität des menschlichen Organismus unterschiedlich stark ausgeprägt sein.

 

1. Wann kann man einem Arzt einen Diagnoseirrtum vorwerfen?

 

Ein Diagnoseirrtum kann dem Arzt nur dann vorgeworfen werden, wenn er als Behandlungsfehler ("Einfacher" bzw. "normaler" Behandlungsfehler oder grober Behandlungsfehler) gewertet werden kann.

 

Hierbei sind die Richter des Bundesgerichtshofs eher zurückhaltend, was sich zum Beispiel aus ihrem Urteil vom 8. 7. 2003, VI ZR 304/02, ergibt:

 

"Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind jedoch oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der vielfachen technischen Hilfsmittel, die zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen sind. Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden."

 

Ein Diagnoseirrtum kann dem Arzt in den folgenden Fällen als Behandlungsfehler vorgeworfen werden:

 

  • Es liegen Symptome vor, die für eine bestimmte Erkrankung kennzeichnend sind, vom Arzt aber nicht ausreichend berücksichtigt wurden.
  • Die Diagnose des Arztes stellt eine unvertretbare Fehlleistung dar. Diese Voraussetzung wurde auch von den Richtern des Oberlandesgerichts Koblenz in ihrem Urteil vom 31.08.2006, 5 U 588/06, ausdrücklich erwähnt:

 

"Irrtümer in der Stellung einer Diagnose erlauben nicht einmal den verlässlichen Schluss auf eine einfache Fahrlässigkeit (...). Eine solche Annahme ist erst dann gerechtfertigt, wenn das diagnostisch gewonnene Ergebnis für einen gewissenhaften Arzt nicht mehr vertretbar erscheint."

 

Die Vertretbarkeit ist anhand eines objektiven medizinischen Maßstabes zu bewerten, indem danach zu fragen ist, ob ein gewissenhafter Arzt das diagnostische Vorgehen nicht mehr als vertretbar angesehen hätte.

 

Liegt eine der beiden Konstellationen des Diagnoseirrtums vor, so weiß man zwar, dass es sich hierbei um einen Behandlungsfehler handelt, es ist jedoch noch nicht klar, ob dieser als "einfacher" bzw. "normaler" oder als grober Behandlungsfehler zu qualifizieren ist.

 

2. Wann ist ein Diagnoseirrtum ein einfacher, wann ein grober Behandlungsfehler?

 

Ein Diagnoseirrtum darf nur dann als "grober" Fehler eingestuft werden, wenn es sich um eine fundamentale Fehldiagnose handelt. Fundamental ist ein Diagnosefehler dann, wenn er aus objektiver Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil er einem Arzt des entsprechenden Fachs schlechthin nicht unterlaufen darf (vgl. hierzu auch den Link Grober Behandlungsfehler).

 

So hat die Rechtsprechung beispielsweise einen groben Diagnoseirrtum angenommen, wenn ein Arzt eindeutige computertomographische Aufnahmen eines fortgeschrittenen Bronchialkarzinoms falsch interpretiert. Die Richter des Oberlandesgerichts Hamm haben in ihrem Urteil vom 2.4.2001 (3 U 160/00) ausdrücklich danach differenziert, ob eine Fehldiagnose nur unvertretbar und somit ein einfacher Behandlungsfehler ist, oder ob sie darüber hinaus sogar als unverständlich, also als grober Behandlungsfehler zu bewerten ist. Im konkreten Fall hat das Gericht einen groben Behandlungsfehlers bejaht, da die Aussage des Sachverständigen, der die Diagnose als "an den Haaren herbeigezogen" bezeichnet hat, die Annahme einer unverständlichen Diagnose rechtfertigten:  

 

"Der Senat wertet den Diagnoseirrtum des Beklagten, verbunden mit der unterbliebenen Abklärung eines möglichen malignen Geschehens als einen groben Behandlungsfehler.
Soweit die Fehlinterpretation eines Befunds im obigen Sinn unvertretbar ist, begründet dies den Behandlungsfehler; ist diese Interpretation darüber hinaus als unverständlich zu werten, rechtfertigt das die Annahme eines groben Fehlverhaltens (...). Zur Überzeugung des Senats rechtfertigen die Ausführungen der Sachverständigen nicht nur die Annahme eines Behandlungsfehlers überhaupt, sondern auch die weiter gehende Wertung des Fehlers als unverständlich.
Das wird im Prinzip schon aus den Formulierungen deutlich, die der Onkologe Prof. Dr. H. gewählt hat. Ist eine Arbeitsdiagnose nach Auswertung der Bildgebung als "an den Haaren" herbeigezogen charakterisiert, beinhaltet das den Ausdruck des absolut fehlenden Verständnisses für eine solche Wertung. Ebenso hat der Sachverständige Prof. Dr. U. es als einen schweren Fehler bezeichnet, dass man nach den konkreten computertomographischen Ergebnissen die Tumordiagnose nicht an die erste Stelle gesetzt hat. Auch nach diesem Sachverständigen war es deshalb unverständlich und damit in juristischer Hinsicht grob fehlerhaft, die gefertigten Aufnahmen nicht im Sinne eines möglichen tumorösen, gegebenenfalls malignen Geschehens zu interpretieren und geeignete Maßnahmen bis zur Bestätigung oder aber bis zum Ausschluss des Verdachts ergriffen zu haben." 
(Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 2.4.2001, 3 U 160/00)

 

 

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